"Windeln sind zu teuer"
Marburger Verein "Chetana" setzt sich für Behinderte in Indien ein
Marburg/Bhubaneswar (sod). Wien, Kassel, Dortmund, Zürich - Professor Narayan Pati aus Bhubaneshwar (Südostindien) ist zurzeit unterwegs in Europa. Als Gastredner besucht der Psychologiedozent unter anderem Universitäten, die sich für das Projekt "Jewels International Chetana" im Bundesstaat Orissa interessieren. In dem Heim für geistig behinderte Menschen können Patis Studenten einen Teil ihrer Ausbildung absolvieren - ebenso wie Krankenschwestern, Pfleger und Lehrer. Nach Auskunft von Pati ein einmaliges Projekt in Indien.
Nach Marburg ist Pati vor allem gekommen, um bei der
Jahreshauptversammlung des Vereins "Chetana" dabei zu sein. Der Verein
- 2005 in Kassel gegründet - unterstützt das Heim. Patis Tochter und
Schwiegersohn - beide Medizinstudenten in Marburg -sind
Gründungsmitglieder. Bei der Versammlung ist Armin Hedwig aus Marburg
zum neuen Vorsitzenden gewählt worden. Der Kontakt zu Familie Pati sei
zustande gekommen, als er mit seinen Schülern eine Projektwoche zum
Thema "Indien" gemacht habe, erzählt der Oberstudienrat der
Stiftsschule St. Johann Amöneburg. "Ich habe nach indischen Studenten
gesucht, die über das Land erzählen können", sagt Hedwig im Gespräch
mit dieser Zeitung. So sei der Kontakt zustande gekommen. Insgesamt
kamen bei verschiedenen Sammelaktionen 3000 Euro zusammen, die das Heim für den Bau einer Bühne bekam, auf der die Bewohner nun Theaterstücke aufführen. "In Indien ist es so, wie es hier in den 50er Jahren war - Behinderte werden versteckt", sagte Hedwig. Zudem gelte eine Behinderung im hinduistischen Glauben als Strafe für Fehlverhalten in einem vorherigen Leben.
Behinderte Jugendliche und Erwachsene lernen im Heim Jewels International Chetana, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Hier vergnügen sich die Jungen bei einem Brettspiel.
(Foto: privat)
1986 ist das Projekt zunächst als Schule für Behinderte gegründet worden. Patis Frau Bijaya ist Direktorin der Schule. Seit 1993 ist die Bundesvereinigung Lebenshilfe Partnerorganisationder Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Jewels International (die
Marburger Neue Zeitung berichtete). Mit der Unterstützung aus Deutschland sei es möglich gewesen, so Hedwig, dass aus der Schule ein Heim wurde. Mittlerweile werden 170 Bewohner von 25 Pflegekräften betreut. ",Chetana' bedeutet so viel wie ,Bewusstsein'", erklärt Narayan Pati im Gespräch mit der Marburger Neuen Zeitung.
Die Bewohner lernen, ihr Leben - soweit möglich - selbst zu meistern, so Pati. Neben der Schulausbildung lernen sie Praktisches, stellen Seife, Fußmatten aus Kokosfasern, Reinigungsmittel, Kreide und Kerzen her. Auch Nähen lernen sie. Einige kehren später in ihre Familien zurück und verdienen selbst etwas dazu.
20 Euro pro Monat reichen
"Unsere Produktion ist natürlich nicht wettbewerbsfähig", sagt Pati. Dafür seien die Herstellungskosten zu teuer. Vom indischen Staat bekomme das Heim Zuschüsse, erkläre Pati. "Das sind etwa neun Euro pro Monat und Bewohner", sagt er. Der Bedarf sei aber weit größer: "Wir brauchen 20 Euro pro Bewohner". Chetana-Vorsitzender Hedwig hofft, dass weitere Spenden zusammenkommen. "Zurzeit sammeln wir für Matratzenauflagen", so der Oberstudienrat. "Viele Behinderte nässen nachts ein. Auf den Matratzen im Heim liegen Plastiktüten. Windeln sind zu teuer."
■ Deutsche können im Chetana-Heim ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) absolvieren.
■ Kontakt: Chetana, Armin Hedwig, Tel.: (0 64 21) 2 1107, E-Mail: armin.hedwig@t-online.de; Internet:
www.chetana-international.org.
06.06.2008
Quelle:
Marburger Neue Zeitung vom 06.06.2008